Wir brauchen bei Asyl und Migration eine Politik des Mutes statt der Angst
Wir brauchen bei Asyl und Migration eine Politik des Mutes statt der Angst
Der Standard
9. Februar 2023
Kommentar der anderen von Judith Kohlenberger und Vedran Dzihic
Die Politik scheint nicht daran interessiert zu sein, Lösungen zu finden. Zu leicht lässt sich hier Stimmung machen – siehe Waldhäusl und Landbauer. Es ist Zeit zum Umdenken
Die Politik mit der Angst vor dem Fremden nützt nur der FPÖ, sagen die Migrationsexpertin Judith Kohlenberger und der Politikwissenschafter Vedran Džihić im Gastkommentar. Einfach weiterdrehen an der Erregungsspirale, das verdecke zudem die Chancen, die in Vielfalt stecken.
Vor 30 Jahren brach der begnadete Rechtspopulist Jörg Haider auf, um mit seinem "Österreich zuerst"-Volksbegehren das Land zu verändern und die großen Volksparteien mit dem Migrations- und Ausländerthema vor sich herzujagen. Politik mit der Angst vor dem Fremden wurde fortan zum schlechten Ton der heimischen Innenpolitik. Die Freiheitlichen wuchsen als politische Partei, um nach jeder Regierungsbeteiligung ob der eigenen Inkompetenz wieder zu schrumpfen. ÖVP und SPÖ versuchen seitdem, mit immer restriktiverer Migrations- und Integrationspolitik den Rechten das Wasser abzugraben. Gelungen ist das nur Sebastian Kurz, der mit fremdenfeindlicher Rhetorik und dem "Schließen der Balkanroute" den rechten Diskurs weiter normalisierte.
Der Migrant – ein idealer Phantomgegner
Der Migrant wurde in letzten drei Jahrzehnten zum idealen Phantomgegner des Mainstreams der österreichischen politischen Klasse. Die jüngsten Episoden lieferten der niederösterreichische Landesrat Gottfried Waldhäusl, der den Jugendlichen eines Gymnasiums in Wien-Favoriten ihre Heimat Wien absprach, und Landesparteichef Udo Landbauer, der sich gegen Hilfsgelder für Erdbebenopfer in der Türkei aussprach.
Die Causa Waldhäusl zeigt: Auch im Nachhinein sind er und sein Parteichef nicht bereit, die Aussage zurückzuziehen und sich zu entschuldigen. Das ist klare Strategie – zuerst provoziert man, beschwichtigt danach, um gleich im nächsten Schritt wieder zur Provokation anzusetzen. Was bleibt, sind Erregung, emotionale Wallungen und eine Militarisierung der Debatte, wie wir sie selbst zu Zeiten Haiders nicht erlebt haben.
Im Mittelpunkt dieser "schamlosen Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Diskurse" (Sprachsoziologin Ruth Wodak) stehen nun also wieder das Migrationsthema und der vermeintliche Fremde. Die Freiheitlichen schlagen daraus Profit, die anderen Parteien finden keine Antwort darauf. Für die Kundgebung "Wien sind wir alle" auf dem Wiener Reumannplatz zog die ÖVP am Montag in letzter Minute ihre Unterstützung zurück. Die SPÖ versucht weiterhin einen Balanceakt zwischen harter Migrationspolitik à la Hans Peter Doskozil und dem unbeholfenen Taktieren einer Pamela Rendi-Wagner. Die Grünen ballen die Fäuste in den Hosentaschen, Neos-Chefin Beate Meindl-Reisinger verschärfte zuletzt den Ton in Asylfragen.
Einseitige Debatte
Bei all dem drängt sich die Frage auf, ob politische Akteure überhaupt an einer Lösung der Migrationsfrage interessiert sind – oder nicht vielmehr das Problem brauchen? Denn dass sich mit Letzterem Stimmung machen lässt und Wahlen schlagen lassen, ist evident. Das hat Österreich zwar mit Nachbarländern gemein, doch ist hierzulande besonders augenscheinlich, wie defizitär die Debatte über Migration und Integration geführt wird. Im Blick sind die Probleme und die Krisen, begleitet von Kampfrhetorik, aber selten die Chancen, die mit Vielfalt verbunden sind. Chancen für den Arbeitsmarkt oder für die internationale Wettbewerbsfähigkeit etwa, die Österreich historisch zwar immer wieder ergriffen hat, die aber im öffentlichen Diskurs kaum vorkommen. Da dreht man lieber an der Erregungsspirale bezüglich Kopftuchverbots, Asylkrise und Festung Europa.
Viel eher als das vermeintliche "Kleinreden" der Migrationsfrage oder der mit kultureller Vielfalt verbundenen Integrationsherausforderungen mag, zumindest auf der politmedialen Bühne, wohl das Gegenteil der Fall sein: das schnappatmige Kommentieren und konstante Hochjazzen von Migration als Dauerkrise. Im vergangenen Jahr verdeutlichte das die schier endlose Zelte-Debatte, das mit irregulärer Migration verknüpfte Veto Österreichs gegen den Schengenbeitritt Rumäniens und Bulgariens und die Aufforderung an Brüssel, "das Tabu Zäune" zu brechen. Auch wenn mittlerweile fast alle Parteien in die Forderung nach mehr "Außengrenzschutz" einstimmen, so hat am niederösterreichischen Wahltag doch nur eine von ihnen davon profitiert.
Migration ist Realität und Normalität
Solange Migration nicht als das wahrgenommen wird, was sie in Österreich ist – nämlich Realität und zunehmend Normalität –, werden sich Diskurs und politische Meinungsbildung dazu nicht ändern. Stoff bietet allein die Geschichte: Bereits zu Zeiten der Monarchie war Wien ein Schmelztiegel. Seit spätestens den 1960ern ist Österreich, auch aufgrund seiner geografischen Lage im Herzen Europas, ein Einwanderungsland. Auf die humanitäre Tradition des Landes blickt man zwar gerne verklärt zurück (wie viel haben wir doch geleistet!), für die Gegenwart leitet man aber kaum etwas ab. Etwa dass Menschen mit Migrationshintergrund mittlerweile ein Viertel der österreichischen Wohnbevölkerung stellen und dass sie alle zur Lebensqualität in Österreich beitragen, nicht zuletzt als Systemerhalter in den Krankenhäusern, Supermärkten und Tourismusbetrieben der Republik. Schülerinnen und Schüler wie jene, die Waldhäusl mit seiner realitätsfernen Abschottungsrhetorik konfrontierten, sind die Zukunft des Landes – eines Landes, das nur durch mehr Vielfalt und Migration überleben können wird, schon aufgrund des demografischen Wandels, an dessen Beginn wir erst stehen.
Hass und Ausgrenzung setzen immer eine sich selbst erfüllende Prophezeiung in Gang. Die Antwort darauf können nur Inklusion, Zugehörigkeit und Solidarität sein. Durch Sachlichkeit, Verständnis und Dialog und nicht zuletzt durch eine Politik des Mutes statt der Angst muss der nüchternen Realität Rechnung getragen werden, dass die vermeintlich Fremden längst ein Teil Österreichs und seiner Erfolgsgeschichte sind.