Menschenrechte nach Pekinger Art – wie China mit seinem «alternativen Weg» der halben Welt auf der Nase herumtanzt
Menschenrechte nach Pekinger Art – wie China mit seinem «alternativen Weg» der halben Welt auf der Nase herumtanzt
Neue Züricher Zeitung
21.2.2021
Menschenrechte nach Pekinger Art – wie China mit seinem «alternativen Weg» der halben Welt auf der Nase herumtanzt
Im Kampf der Systeme verfügt China über viel Einfluss und Geld, aber über wenig Soft Power. Die Einschränkung der Menschenrechte lässt sich nicht so gut verkaufen. Dennoch setzt Peking alles daran, sein Konzept vom Primat der Wohlfahrt zu propagieren. Mit einigem Erfolg.
Bei der Einrichtung des Uno-Menschenrechtsrates 2006, der die Uno-Menschenrechtskommission ersetzte, gehörte die Volksrepublik China zu den Gründungsmitgliedern. Seitdem ist der Menschenrechtsrat für Peking eine nützliche Bühne geworden. Denn hier treibt die kommunistische Führung ihr eigenes Verständnis der Menschenrechte voran, das nicht mit der westlichen demokratischen Interpretation vereinbar ist. Allerdings hob die chinesische Regierung hervor, dass das Recht auf Entwicklung Priorität vor allen anderen Rechten habe. Es sei legitim, die individuellen und politischen Freiheitsrechte zu schwächen und stattdessen die sozioökonomischen Rechte zu priorisieren.
Die Menschenrechtsverletzungen mittels neuer Technologieentwicklung (wie künstliche Intelligenz und Datenanalysen) haben dazu geführt, dass China ein furchterregendes Überwachungssystem aufgebaut hat. Seit Machtantritt von Xi Jinping versucht die kommunistische Führung die Debatte über die Menschenrechtslage in China zu vermeiden und gleichzeitig stärker gegen die international anerkannten Normen und Standards vorzugehen. Das Europäische Parlament stellte unlängst fest, «dass sich die Menschenrechtslage in China seit dem Amtsantritt von Präsident Xi Jinping im März 2013 weiter verschlechtert hat».
Die Repressionspolitik gegen Regimekritiker, die grausame Verfolgung von Uiguren in der Region Xinjiang und das brutale Vorgehen der Polizei gegen die Demokratiebewegung in Hongkong zeigen deutlich Chinas aggressive Strategie, internationale Normen zu unterminieren. Und all dies unter dem Deckmantel, seit 2019 der zweitgrösste Beitragszahler für den Uno-Haushalt zu sein. Dabei reicht Chinas Einfluss noch weiter: Vier der insgesamt fünfzehn Uno-Sonderorganisationen werden zurzeit von chinesischen Diplomaten geleitet.
Der Kreis der China-Freunde wächst weiter
Es ist bemerkenswert, wie erfolgreich Peking darin war, für seine eigene Uno-Menschenrechtspolitik zahlreiche Länder der Welt auf seine Seite zu ziehen. Dies wurde dank den geschickt lancierten chinesischen Infrastruktur- und Entwicklungsprojekten im Rahmen der «Neuen Seidenstrasse» möglich, begleitet von massiven Investitionen, einer schlauen Kreditpolitik und strategischen Aufkäufen von kritischen Brückenköpfen und Verkehrsknotenpunkten. So schaffte es China, weltweit schwächere Staaten finanziell abhängig zu machen (Pakistan, Sri Lanka, Djibouti) oder zu neutralisieren (Italien, Griechenland und die Türkei), während es gegen andere, die Kritik üben (Australien), einen harten Kurs fuhr und noch fährt.
Im Dezember 2017 startete die chinesische Führung das «Süd-Süd-Menschenrechtsforum», an dem mehr als 300 Vertreter und Experten aus über 70 Entwicklungsländern teilnahmen. Das Ziel war es hier nicht, internationale Verpflichtungen zur Achtung der Menschenrechte einzuhalten, sondern die Relativierung individueller und politischer Freiheitsrechte voranzutreiben. Denn Partei- und Staatspräsident Xi präsentierte seine Vision zur Gründung einer «Gemeinschaft mit geteilter Zukunft für die Menschheit», als einen zu dem der westlichen Demokratien alternativen Weg für Entwicklungsländer.
Als im Juli 2019 eine Gruppe von 22 Staaten mit westlich-liberaler Vorstellung von Demokratie bei der Sitzung des Uno-Menschenrechtsrats in Genf die chinesische Führung bezüglich der Menschenrechtslage in Xinjiang stark kritisierte, schloss sich merkwürdigerweise kein Land Südosteuropas an. Auch EU-Mitgliedstaaten wie Italien, Malta, Portugal und die Visegrad-Länder unterstützten die Kritiker nicht. Tatsächlich fehlte aufgrund des Austritts der USA aus dem Uno-Menschenrechtsrat unter der Trump-Administration (2018) nicht nur Washingtons Unterschrift auf dem von westlichen Ländern initiierten Brief. Es fehlte auch jene der italienischen Regierung, nachdem sich Italien als erstes G-7-Industrieland dem Projekt «Neue Seidenstrasse» im März 2019 angeschlossen hatte.
Kurz darauf aktivierte China wiederum seinen diplomatischen Apparat gegen die westlichen Länder durch eine China-freundliche Gruppe von 50 Staaten, bestehend aus Ländern wie Nordkorea, Russland, Saudiarabien, Syrien oder Weissrussland. Und aus Europa war es Serbien, das aktiv Pekings Politik begrüsste.
Neutrale Schweiz
Die nächste diplomatische Schlacht fand im Oktober desselben Jahres bei der Sitzung des Uno-Ausschusses für soziale, humanitäre und kulturelle Fragen zwischen zwei Gruppen mit unterschiedlichem Umgang mit den Menschenrechten statt. 23 Staaten mit westlich-liberalem Verständnis (jetzt waren Washington und London federführend) verurteilten aufs Schärfste das brutale chinesische Vorgehen gegen Uiguren und andere ethnische Gemeinschaften in Xinjiang. China mobilisierte eine Koalition von 54 Staaten, die Pekings Massnahmen zur «Bekämpfung des Terrorismus, des Islamismus und des Radikalismus» in Xinjiang lobten. Auffällig war, dass aus der «17+1»-Initiative nur vier Staaten (Albanien und die drei baltischen Staaten) die westliche Stellungnahme gegen China mittrugen, während Serbien für China einstand und sich die restlichen zwölf aufgrund ihrer «vorsichtigen» China-Politik enthielten. Bezeichnenderweise blieb Italien, aber auch die Schweiz bei diesem globalen Tauziehen um die Menschenrechtspolitik neutral.
Wenn man die Liste der Länder, die Chinas Position unterstützt haben, genauer betrachtet, so setzt sie sich hauptsächlich aus autoritären oder halbautoritären Regimen – vor allem aus asiatischen und afrikanischen Entwicklungsländern – zusammen. Irritierenderweise wurde die China-freundliche Propaganda in Bezug auf die Unterdrückung der muslimischen Minderheit in Xinjiang von 23 Staaten mit muslimischer Mehrheit unterstützt, denen es wichtiger war, die Beziehungen mit China zu vertiefen, als Besorgnis über die systematische Unterdrückung der Uiguren zu äussern. Nicht anders verhielt sich die Organisation für Islamische Zusammenarbeit beim Fall der in Burma verfolgten Rohingya-Muslime.
In diesem Zusammenhang sticht die Rolle der türkischen Regierung hervor. Ankara unterzeichnete nämlich weder die Erklärung der westlichen Staaten noch die Position Chinas. Und dennoch ist nicht zu übersehen, dass Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der sich notorisch zum weltweiten Schutzherrn der Muslime hochstilisiert, die chinesischen antiuigurischen Massnahmen während seines Besuches im Juli 2019 in Peking verteidigte, dies ungeachtet der Tatsache, dass die Uiguren als ethnisch türkisch-sunnitische Minderheit einzuordnen sind.
Hoffnung in den Ruinen
Dass China eine global gut vernetzte Grossmacht geworden ist, zeigt sich auch an zwei weiteren Beispielen des Jahres 2020. So übten 53 Staaten demonstrativ den Schulterschluss mit China, als im Juli 27 westlich-liberale Demokratien unter Führung Grossbritanniens die Verabschiedung des umstrittenen Sicherheitsgesetzes von Peking für die Sonderverwaltungszone Hongkong im Uno-Menschenrechtsrat anprangerten.
Des Weiteren kritisierten im Oktober nur 38 Staaten unter Führung von Deutschland (aber ohne die EU- und Nato-Mitgliedstaaten Griechenland, Portugal, Rumänien, Tschechien und Ungarn) im Dritten Ausschuss der Uno-Generalversammlung Chinas Vorgehen gegen die Uiguren und die Menschenrechtslage in Hongkong, während China seine Macht mit einer Gegenkoalition von 45 Ländern demonstrierte.
Es wird spannend bleiben, wer bei dem geplanten «Gipfel für Demokratie» des neuen amerikanischen Präsidenten Joe Biden eingeladen werden und zugegen sein wird, aber auch, wie China dagegenhält. Es bleibt nicht auszuschliessen, dass Xi Jinping, im Gegenzug zu Biden, eine weitere neue «Seidenstrasse» verkündigen wird: nämlich eine «Neue Seidenstrasse für Demokratie». Nach der «Seidenstrasse der Gesundheit» eine neue Herausforderung für den Westen.
Faruk Ajeti ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Institut für Internationale Politik in Wien.