
Hart im Ton bei Asyl und Migration, mit unionsrechtlichen Stolpersteinen
Hart im Ton bei Asyl und Migration, mit unionsrechtlichen Stolpersteinen
Der Standard / Kommentar der anderen
2. März 2025
Judith Kohlenberger
Die geplanten Maßnahmen der neuen Regierung sind restriktiv angelegt, ihre Umsetzungschancen bleiben fraglich. Integration wird stärker gefördert, für den großen Wurf fehlte der Mut
Das Bemühen der ÖVP-SPÖ-Neos-Koalition, sich bei Verschärfungen im Bereich Asyl und Integration im unionsrechtlichen Rahmen zu bewegen, ist anzuerkennen. Dennoch sind die vorgestellten Maßnahmen im Regierungsprogramm weitgehend defensiv und schreiben den europaweiten Trend zur "neuen Härte" fort. Die Umsetzungschancen bleiben fraglich.
Ein Paradebeispiel für fragwürdige Vollzugschancen ist die Aussetzung der Familienzusammenführung. Zwar ist hier deutlich die Handschrift der ÖVP zu erkennen, die beiden anderen Koalitionspartner haben aber durch den Verweis auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gleich die Bremsen miteingebaut. Denn das "Recht auf Familie" verbietet eine dauerhafte Aussetzung.
Das Unionsrecht zu unterwandern wäre nur dann möglich, wenn ein Notfall eintritt, sprich die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit gefährdet sind. Das geben weder aktuelle Asylantragszahlen oder Kapazitäten in der Grundversorgung noch die Situation an Wiens Schulen her, denn die könnte durch bessere, bundesweite Verteilung von Flüchtlingen entschärft werden. Eine solche Maßnahme, angeblich von den Neos und Teilen der SPÖ angedacht, findet sich jedoch nicht im Abkommen. Dafür konterkariert die angestrebte Aussetzung der Familienzusammenführung die ebenfalls im Regierungsprogramm festgehaltene Absichtserklärung, Schlepperkriminalität und irreguläre Migration zu bekämpfen: Haben Familienväter nicht die Möglichkeit, Frau und Kinder auf legalem, sicherem Weg nach Österreich zu holen, bleibt Letzteren selten eine andere Alternative als das Schlauchboot.
Bescheidene Liberalisierung
Das Unterkapitel zur Staatsbürgerschaft, das sogar mit dem Wort "Verschärfung" beginnt, enthält bei genauerer Betrachtung eine bescheidene Liberalisierung, nur nennt die sich nun "Entbürokratisierung" – wohl auch, um für ÖVP-Klientel gefälliger zu klingen. So liest man, dass künftig der Integrationserfolg im Vordergrund stehen soll, jedoch bisherige Hürden wie leichte Verwaltungsübertretungen abgebaut und der Nachweis von Aufenthaltsdauer und Einkommen erleichtert werden sollen.
Auch die in den Bundesländern unterschiedlichen, teils sehr hohen Gebühren, um einen Antrag zu stellen, sollen "evaluiert" und, so bleibt zu erwarten, vereinheitlicht werden. Der Schutz von Staatenlosen soll dezidiert "verbessert" werden. Dazu würde streng genommen auch die in manchen Bundesländern gängige Praxis zählen, schon vor der Einbürgerung in Österreich die gesetzlich vorgeschriebene Rücklegung der bisherigen Staatsbürgerschaft zu verlangen. Denn damit sieht das Gesetz eine – menschenrechtlich problematische – temporäre Staatenlosigkeit vor, die zu einer permanenten werden kann, wenn nach der Rücklegung der bisherigen Staatsbürgerschaft neue Hindernisse für die Einbürgerung auftauchen.
Ist all das Grund zum Aufatmen, was die voranschreitende Erosion von Grund- und Menschenrechten im sensiblen Asylbereich, wie sie sich auch auf europäischer Ebene seit Jahren abzeichnet, betrifft? Nein.
Denn zum einen hat es die Dreierkoalition, der immerhin zwei liberal-progressive Parteien angehören, verabsäumt, jene Pflöcke einzuschlagen, die notwendig wären, um das Asylrecht dauerhaft abzusichern und gleichzeitig den sozialen Zusammenhalt durch mutige Integrationsprogramme zu fördern. Dies ist besonders im Bereich der Sozialleistungen offenkundig, die Asylberechtigten erst nach einer Wartefrist zustehen sollen. Die Aufstockung des AMS-Budgets und die Ausweitung des Integrationsjahrs sind zwar wichtige Bausteine, aber die Chance, innovative Akzente im Integrationsbereich jenseits der ausgetretenen Pfade zu beschreiten, wurde verfehlt.
Zum anderen lehrt die Erfahrung aus dem europäischen Umfeld, dass der vollmundige Verweis auf unionsrechtliche Verpflichtungen in der Praxis wenig Belang hat, wenn die Politik sich darüber hinwegsetzen will. So geschehen nicht nur im illiberalen Ungarn, wo das Recht auf Asyl de facto ausgesetzt ist, sondern auch unter Donald Tusk in Polen. Selbst in Deutschland wird durch die nicht nur vorübergehende Schließung der Schengen-Grenzen eine "Politik des kalkulierten Rechtsbruchs" gefahren, wie es der deutsche Völkerrechtler Jürgen Bast bezeichnet.
Polarisierende Schlagwörter
Nach dem Motto "Lassen wir es mal darauf ankommen" werden unionsrechtswidrige Maßnahmen erlassen, die erst jahrelang ausjudiziert werden müssen, bevor sie von europäischen Gerichten aufgehoben werden. Dass solche Strategien auch österreichischen Regierungen nicht fremd sind, zeigte die Indexierung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder, eine Maßnahme der türkis-blauen Regierung unter Sebastian Kurz, die der Europäische Gerichtshof schließlich als rechtswidrig aufhob. Bis dahin vergingen drei Jahre, in denen Familien die ihnen zustehende Unterstützung nicht erhielten. Das ehrliche Bemühen der Liberalen und Sozialdemokraten, die Forderungen der ÖVP in unionsrechtskonforme Bahnen zu lenken, wird also auf Dauer zu wenig sein.
Zuletzt sollte nicht auf die diskursive Wirkung des rauen Tons im Asyl- und Integrationskapitel vergessen werden. Dafür sorgt allein seine Eingliederung unter dem Thema "Sicherheit". Denn auch wenn viele der "Verschärfungen", die sich die Koalition vorgenommen hat, nicht vollständig umgesetzt werden können oder dürfen: Der Eindruck eines notwendigen "Kampfs" gegen (nicht nur) irreguläre Migration verfängt. Und führt der nicht zum Erfolg, so kann bequem gegen die Entscheidung europäischer Gerichte oder, noch plakativer, gegen "Brüssel" Stimmung gemacht werden. All das trägt nicht zur Entemotionalisierung und Versachlichung bei und soll das womöglich auch gar nicht. Dabei wäre es notwendiger denn je, im Bereich Asyl und Migration über polarisierende Schlagwörter hinauszudenken und zu handeln. Kurzum: Jetzt das Richtige zu tun.