Globaler Kampf zwischen Freiheit und Diktatur

Globaler Kampf zwischen Freiheit und Diktatur

Vedran Dzihic
Senior Researcher

Thomas Eder
Post-Doc Researcher

Die Presse
23. März 2022

Gastkommentar von Vedran Dzihic und Thomas Eder. Chinas Diplomatie zeigt eine klare Nähe zu Russland. Der Westen sollte sich der Gefahren, gerade am Westbalkan, bewusst sein.

Der Krieg in der Ukraine hat die Koordinaten der Gegenwart verändert und die Gewissheiten der Zeit nach 1989 erschüttert. Das geflügelte Wort vom „Ende der Geschichte“ hat sich in sein Gegenteil verkehrt –die Geschichte Europas und auch die Geschichte der Welt werden in diesen Tagen neu geschrieben. Es ist offensichtlich, dass diese neue Zäsur auch eine neue Teilung der Welt mit sich bringt. Auf der einen Seite steht der nun wiederauferstandene Westen, in dem die Freiheit und Demokratie den Wertekern bilden. Auf der anderen Seite sehen wir gerade am Beispiel Russlands, wie sich ein voll in die globalen wirtschaftlichen Zusam-menhänge integrierter Staat in eine Diktatur mit totalitären Zügen verwandeln kann. Der Trend zur Autokratisierung von Gesellschaften weltweit hat sich in den letzten Jahren vertieft. Das angesehene Varieties-of-Democracy-Institut sprach in sei-nem Bericht des Jahres 2021 von „Autocratization turning viral“ sowie zudem von einer Entwicklung autoritärer Regierungen hin zu voll ausgeprägten Diktaturen. Auch in Europa finden wir mit Ungarn, Polen, Serbien, Slowenien oder der Türkei Staaten, die auf diesen Trend aufgesprungen sind oder ihn gar mitgeprägt haben. Nun verschärft sich dieser Gegensatz zwischen Demokratien und Autokratien durch den Krieg in der Ukraine erneut.

Kritik an Demokratiegipfel
Die Auseinandersetzung um glo-bale Regimevorherrschaft erreich-te schon im Jahr 2021 einen vor-läufigen Höhepunkt. US-Präsident Joe Biden lud zu einem ersten „Gipfel für die Demokratie“, um den zunehmenden Einfluss großer Autokratien zurückzudrängen. Russland und China kritisierten den Gipfel scharf, und China erklärte sich in einem neuen Strategiepapier zur eigentlichen und erfolgreicheren Demokratie. China warf den USA auch vor, Demokra-tie als Werkzeug für geopolitische Ziele und zur Unterdrückung an-derer Staaten zu verwenden. Angesichts des Krieges in der Ukraine steht China nun im Mittel-punkt der internationalen Auf-merksamkeit. Wie wird sich Peking am Ende gegenüber Putin positionieren? Bereitet man sich auf eine offene Konfrontation mit dem Westen vor? Eines ist wohl klar –der endgültige Ausgang des Krieges wird stark von der Positionie-rung Chinas abhängen. Lässt Chi-na Putin im Stich, wird das sein Regime in Russland wohl kaum überleben. China versucht bislang einen schwierigen Drahtseilakt. Russland ist wichtig, vor allem als ein potenzieller Partner, mit dem man die USA schwächen und die Welt für Diktaturen sicher machen will. So verurteilte man auch weder die russische Anerkennung der separatistischen „Volksrepubliken“ von Donetsk und Luhansk noch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Damit rüttelt man an der bisherigen Unterstüt-zung der Prinzipien der Souveränität und territorialen Integrität der Staaten sowie der Nichteinmischung in deren innere Angelegenheiten. Andererseits will sich China die ambitionierten Wachstumsziele und langfristigen Entwicklungsperspektiven nicht durch eine neue globale Konfrontation verderben lassen. Denn China ist auch weiterhin auf die Europäische Union und auf die USA angewiesen, zu groß ist die Abhängigkeit im Handel und beim Technologietransfer.

China als Mediator?
In den Vereinten Nationen enthielt sich China bei den Resolutionen gegen Russland im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung der Stimme und ergriff nicht ein-deutig Partei. Eine Rolle als Media-tor wurde ins Spiel gebracht, auch wenn China diese nur virtuell zu „performen“ scheint. Gleichzeitig sind uns allen noch die Szenen des Treffens von Wladimir Putin und Xi Jinping anlässlich der Olympi-schen Spiele in Peking vor Augen, als die Autokraten in einer gemeinsamen Erklärung ihre Freundschaft „ohne Limits“ feierten und sich unverkennbar gegen die Nato und den Westen positionierten. Chinas diplomatisches Verhalten insgesamt zeigt eine klare Nähe zu Russland. So weigerte sich Xi Jinping in seinem Telefonat mit Joe Biden am 18. März, Russland direkt zu kritisieren. Gleichzeitig war er sehr wohl bereit, die Sanktionen des Westens zu verdammen und der Nato die Verantwortung für den Krieg zuzuschieben. Bereits am 16. März urteilte der Internationale Gerichtshof in Den Haag, dass Russland seinen Angriff einzustellen habe – 13 Stimmen zu zwei, allein die Richter Russlands und Chinas stimmten dagegen. China wird Putin wohl weiter dulden und seinen Anteil dazu beitragen, die westlichen Sanktionen gegen Russland abzufedern. Insge-samt befördert Chinas Haltung damit die globale Systemkonkurrenz zwischen Demokratie und Autokratie auf eine neue Stufe. Auf die-ser neuen Stufe besteht – sicherlich die vorerst nur theoretische, aber in der Zukunft womöglich reale – Möglichkeit, dass China freundliche autokratische Regime notfalls auch mit militärischen Mitteln unterstützt.

Autokratisierung am Balkan
Eine wesentliche Frage ist vor die-sem Hintergrund auch, was dieser neue globale Konkurrenzkampf für die semiperipheren Regionen Eu-ropas bedeutet, in denen die Auto-kratisierung in den letzten Jahren besonders stark war, wie zum Bei-spiel dem Westbalkan. Am Balkan erleben wir seit einiger Zeit eine deutliche Schwächung der libera-len Demokratien. Die demokratischen Prozesse und Institutionen werden in einigen Staaten immer stärker infrage gestellt. Serbien unter Präsident Aleksandar Vucic gehört etwa zu den weltweit sich am stärksten autokratisierenden Staaten im vergangenen Jahrzehnt. Am Westbalkan sehen wir noch die bisherige vorsichtigere Form der Systemkonkurrenz. China inspiriert durch den Erfolg seines Modells, gewinnt Einfluss durch Kreditvergabe, Investitionen und durch die Lieferung von Medizingütern und stärkt so die zunehmend autoritären Führungen in Serbien und der Republika Srpska diplomatisch. Auch hier handelt China oft parallel zu Russland. Serbien ist dafür empfänglich und spielt ein Doppelspiel zwischen dem Westen, Russland und China. So weigert sich das Land nun im Ukraine-Krieg, Sanktionen gegen Russland einzuführen.

Waffen, Geld, Separatismus
Sollte die milder ausgeprägte Systemkonkurrenz nicht den gewünschten Erfolg für Russland und China bringen, ist zu befürchten, dass auch am Balkan die Souveränität und territoriale Integrität vor allem Bosniens und Herzegowinas infrage gestellt wird. Dabei könnten nicht nur russische Waffen, sondern auch chinesisches Geld den Separatismus der Republika Srpska befördern. Schon jetzt sollte sich die EU dieser Gefahr bewusst sein und Demokratien in ihrer Nachbarschaft umfassend stärken und verteidigen, wenn sie nicht in Zukunft von einer Mauer aus Diktaturen umgeben sein will.

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