Frauen im Krieg „Krieg verschiebt die Rollenbilder“
Frauen im Krieg „Krieg verschiebt die Rollenbilder“
Südwest Presse
21. März 2022
In der Bedrohung greifen immer mehr Frauen zur Waffe. Das kann Rollenbilder verändern, sagt die österreichische Politikwissenschaftlerin Saskia Stachowitsch.
Frau Dr. Stachowitsch, Bilder aus der Ukraine zeigen Frauen als Soldatinnen. Überrascht Sie das?
Saskia Stachowitsch: Nein. Wir wissen, dass Frauen weltweit in offiziellen und inoffiziellen Kampfverbänden tätig sind. Das ist nichts Neues. Überraschend ist, dass das immer noch als überraschend empfunden wird.
Lässt sich daraus eine Feminisierung des Militärdienstes ableiten?
Wir sehen seit den 70er/80er-Jahren in vielen Ländern eine Öffnung staatlicher Militärstrukturen für Frauen. Trotzdem kommt ihre Integration in den Militärdienst auf allen Ebenen nur schleppend voran. Auf jeden Fall muss man differenzieren zwischen Bildern, die aus Propagandazwecken veröffentlicht werden, und der Realität des täglichen Kampfgeschehens.
In welchen Militär-Funktionen arbei-ten Frauen? Gibt es Auffälligkeiten?
In der Tendenz sind Frauen in nicht-kämpfenden Verwendungen auf mittleren Rängen tätig, die ein höheres Ausbildungsniveau verlangen. Das heißt: Frauen sind selten in Bodentruppen und selten in höchsten Führungsebenen. Man kann das gut beobachten am US-Militär, das Frau-en schon längere Zeit einsetzt. Dort sind Frauen häufig in technischen Berufen, etwa der Air Force. Da fehlen oftmals entsprechend qualifizierte Männer.
Auch bei den Peschmerga im Nordirak kämpfen Frauen. Ist das der Bedrohung geschuldet oder besonderen Fähigkeiten von Frauen?
Wir haben einen langfristigen Trend der Professionalisierung und Technologisierung von Armeen. Dieser befördert Frauenintegration. Doch auch die symbolische Ebene ist wichtig. In Israel zum Beispiel gehören bewaffnete Frauen zum Alltagsbild. Das ist eine Botschaft an die Gesellschaft: Seht, sogar die Frauen kämpfen mit. Daneben gibt es Ad-hoc-Situationen wie Krieg. Sie lassen den Anteil von Frauen im Militär stark ansteigen.
Auf die Ukraine bezogen: Ist der Einsatz von Frauen Ausdruck von Patriotismus oder eines veränderten Rollenverständnisses?
Vermutlich beides. Ein Krieg kann die Rollenbilder im zivilen Leben verschieben. Da bestehen Wechselwirkungen. Wir haben das im Zweiten Weltkrieg gesehen, als Frauen neue Rollen annehmen mussten. Nach dem Krieg setzte eine Re-Traditionalisierung ein, damit kriegsheimkehrende Männer angestammte Plätze in der Gesellschaft wieder einnehmen konnten.
Schutz und Sicherheit werden stark mit Männern in Verbindung gebracht. Auch in der Ukraine, wo Männer das Land nicht verlassen dürfen. Stimmt das Bild noch?
Ja. Uns fallen kämpfende Frauen medial deshalb so auf, weil sie für das Besondere stehen. Die angenommene Normalität ist, dass Kampf eine Männerarbeit ist. Das Tragische an der Ukraine ist, dass nicht alle Männer freiwillig kämpfen. Die Wehrpflicht zwingt sie dazu. Auch diese geschlechtsspezifische Gewalt gegenüber Männern ist ein Genderthema. Die starke Zweiteilung – Frauen und Kinder sind schützenswert, Männer haben in den Krieg zu ziehen – ist aus feministischer Sicht ein Rollenverständnis, das es zu überwinden gilt.
Wann hat die Feminisierung des Militärdienstes begonnen?
Wir tendieren dazu, die Inklusion von Frauen als das Neue zu sehen. Wenn man weiter zurückschaut, könnte man auch den Aus-schluss von Frauen als das Neue empfinden. Frühere herumziehende Heere glichen eher mobilen Städten, Frauen und Kinder waren mit dabei. Das änderte sich im 18./19. Jahrhundert mit der Professionalisierung der Militärapparate und der Einführung neuer Waffensysteme, die einen trainierten Umgang erforderten. Soldaten wurden nun kaserniert. Das nährte die Idee, dass alle Männer im Militär dienen sollten, nicht mehr nur einzelne Stände. Dieser Dienst galt nun als Schule der Männlichkeit, der die Nation formiert. Erst im 20. Jahrhundert bricht die Vorstellung wieder auf. Da setzte man wieder mehr auf freiwilligen Militärdienst – und auf die Integration von Frauen. Im Zweiten Weltkrieg kämpften auf Seiten der USA auffallend viele Frauen. Allerdings in ausgegliederten Verbänden.
Das heißt?
Das waren offiziell Hilfsverbände. Das Militär brauchte die Arbeitskräfte. Anerkannt wurden die Frauen dafür aber nicht. Es blieb das Narrativ, dass das Militär eine Männerbastion ist.
In Deutschland stehen Frauen erst seit 2001 alle Dienste bei der Bundeswehr offen. Doch so anziehend ist das Angebot nicht. Warum?
Ein Grund ist sicher, dass das Militär noch immer nicht als Ort der Gleichberechtigung gilt. Interessant sind da Norwegen und Schweden, die eine Wehrpflicht für Männer und Frauen eingeführt haben. Wie sich das auf Militär und Rollenbilder auswirkt, wird man beobachten müssen.
Verändern Frauen das Militär?
Da muss man vorsichtig sein. Das Militär wird durch Frauen nicht automatisch egalitärer, demokratischer und progressiver. Dazu sind die Strukturen zu festgefahren. Doch ist es wichtig, dass Frauen in diese Strukturen einbezogen werden. Vermutlich verändert sich zuerst der Alltag und erst viel später die Institution. Militärapparate haben weniger ein Problem, Frauen zu gewinnen als diese zu halten. Positive Veränderung ist aber nicht die Bringschuld der Frauen, die Institutionen müssen etwas verändern.
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