Die neue "Seidenstraße der Gesundheit" führt von Peking nach Rom
Die neue "Seidenstraße der Gesundheit" führt von Peking nach Rom
Wiener Zeitung
29. März 2020
Die neue "Seidenstraße der Gesundheit" führt von Peking nach Rom
von Faruk Ajeti und Kristina Spohr
Was der Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie mit Chinas knallharter Wirtschaftspolitik zu tun hat.
Im Jahr 2013 präsentierte der chinesische Präsident Xi Jinping durch seine Reden in Astana und in Jakarta zum ersten Mal seine Vision einer "Neuen Seidenstraße" ("Belt and Road Initiative"). Hinter diesem Euphemismus stand die Wiederbelebung der historischen, mehrere Kontinente umspannenden Seidenstraße, die seit 200 v. Chr. das Reich der Mitte mit dem alten Rom verbunden hatte. Xis Großprojekt für das 21. Jahrhundert – einen neuen, von China dominierten Wirtschaftsraum zu schaffen, in dem eurasische und afrikanische Staaten auf dem Land- (Belt) und Seeweg (Road) eng verbunden werden – steht für die Erfüllung zahlreicher chinesischer Ambitionen geoökonomischer und geostrategischer Natur.
Die gigantischen interkontinentalen Handels- und Infrastruktur-Netze, die Peking inzwischen auf die Beine gestellt hat, umfassen 68 Staaten: asiatische, afrikanische und europäische. Für den Bau von Brücken und Straßen, Eisen- und Autobahnen, Flug- und Seehäfen versprach Präsident Xi im Jahr 2015 ganze 900 Milliarden Dollar an Investitionen. Parallel zur Umsetzung dieser Bauprojekten im Rahmen der "Neuen Seidenstraße" lancierte die chinesische Regierung außerdem weitere "Seidenstraßen"-Projekte: eine "digitale Seidenstraße", eine "polare Seidenstraße" und eine "Weltraum-Seidenstraße". Tatsächlich sind all diese "Seidenstraßen" Bestandteil der "Neuen Seidenstraße".
Die "Neue Seidenstraße der Gesundheit"
In diesem Zusammenhang muss auch das starke neueste Vorpreschen Chinas nach Europa verstanden werden, wobei es nicht nur rein um Altruismus geht, sondern auch um Machtpolitik. Nach dem Ausbruch von Covid-19 in der chinesischen Stadt Wuhan breitete sichdie Pandemie rapide auf der ganzen Welt aus. Die anfängliche Vertuschung dessen, was in Wuhan geschah, und das harte Vorgehen der Regierung gegen die Whistleblower, halfen bei der Eindämmung nicht. In Europa sind dabei Italien und Spanien die bisher am stärksten betroffenen Länder. Als "Epizentrum der Pandemie" hat zuerst Italien bei der Anzahl von Corona-Toten China sogar überholt. Nachdem sich anfänglich die jeweiligen EU-Staaten vor allem auf sich selbst konzentrierten und Rom in der Corona-Krise seinem Schicksal selbst überlassen wurde, kam die neuerlich plötzliche großzügige Hilfe (in der Form von Lieferungen von zigtausenden Beatmungsgeräten, Schutzbekleidung und -masken, und Medikamenten) aus dem entfernten China – wo die einheimische Corona-Infektionen inzwischen auf null zurückgegangen zu sein scheinen – zum perfekten Zeitpunkt. Dabei machte die chinesische staatliche Nachrichtenagentur Xinhua keinen Hehl aus Chinas eigentlichen Interessen. Sie proklamierte schlicht und trocken: "Wenn Handschläge in Europa nicht mehr gelten, kann Chinas helfende Hand einen Unterschied machen", und spielte so auf die scheinbar mangelnde Solidarität der EU mit Italien an.
Es ist eine bittere Ironie, dass laut westlichen Medienberichten einer der Gründe, warum Italien so schwer von der Corona-Krise betroffen ist, neben der disproportional hohen Quote von über 65-jährigen (mit fast 14 Millionen knapp ein Viertel der italienischen Gesamtbevölkerung) auch die große Anzahl chinesischer Gastarbeiter in Nord-Italien (zirka 90.000) war. Diese importierten nämlich, so wird vermutet, das Virus Anfang des Jahres infolge ihres Heimaturlaubs zum chinesischen Neujahrsfest nach Italien. Abgesehen davon, dass dies ganz natürlich ein Nebeneffekt der Globalisierung ist, sollte man dennoch die Frage stellen, was die europäische Solidarität – schön in EU-Akten niedergeschrieben – nicht nur für Italien, sondern auch für alle anderen EU-Mitgliedstaaten in Zukunft bedeuten kann und soll. Schließlich ist Solidarität in Krisenzeiten wichtiger denn je.
Marco Polo wird nicht mehr der Einzige sein, der Italien mit China verbindet
Als Italien – als erstes Land der G7-Industriestaaten – sich offiziell im März 2019 Chinas "Neuer Seidenstraße" anschloss, wurde es von den großen EU-Staaten lautstark kritisiert, weil sie befürchteten, China könne einen Keil zwischen die EU-Mitglieder treiben. Nun steht dies wieder akut auf der Tagesordnung. Denn auch in der Corona-Krise verfolgt die Regierung in Peking ihre geostrategischen Ziele unbeirrt. Wie sagte Präsident Xi am 16. März 2020 während eines Telefongesprächs mit dem italienischen Ministerpräsident Giuseppe Conte: Ihre beiden Länder seien die "Grundpfeiler für eine neue Seidenstraße der Gesundheit" ("Health Silk Road").
Wenn die Corona-Krise – früher oder später – vorbei ist, werden viele Dinge in der europäischen und globalen Politik anders aussehen. Die Europäer sollten sich dann nicht wundern, falls die neue "Seidenstraße der Gesundheit" von China nach Rom mit dem Namen von Marco Polo benannt würde. Was ist dann mit der Anbindung Roms an Brüssel? Wird Rom zukünftig mehr nach Peking und weniger nach Brüssel schauen?
Dies ist eine ernste Stunde für die EU und es muss die "Stunde Europas" sein. Dabei ist dieser Ausdruck vorbelastet und tragisch verbunden mit der Äußerung des damaligen europäischen Ratspräsidenten Jacques Poos 1991 in Bezug auf die Krise auf dem Balkan – einer Aussage, die mit dem Versagen der EG, eine einheitliche europäische Außenpolitik zu betreiben, endete, da sie es nicht schaffte die blutige Implosion Jugoslawiens und die nachfolgenden Kriege zu verhindern.
Nach seiner Rückkehr aus China vor 700 Jahren wurden Marco Polos Reisenotizen unter dem Buchtitel "Die Wunder der Welt" veröffentlicht. Dies eröffnete einen ersten Blick in das für die Europäer bisher völlig unbekannte Asien. So nannte auch Henry Kissinger 1971 seine erste geheime diplomatische Mission in das fremde, kommunistische China "Polo 1". Eine der meistgestellten Fragen in der Zeit der Coronavirus-Pandemie ist, wie das internationale System nach dieser schweren weltweiten Gesundheitskrise und der erwarteten globalen Rezession aussehen wird. Werden es die "Seidenstraßen" Chinas sein, mit denen Peking die Welt maßgeblich mit neu ordnet?
Faruk Ajeti ist Visiting Scholar an der Johns Hopkins University in Washington (D.C.) und Affiliated Researcher am Österreichischen Institut für internationale Politik in Wien. – © www.oiip.ac.at
Kristina Spohr lehrt internationale Geschichte an der SAIS-Johns Hopkins University in Washington (D.C.) und der London School of Economics. Im Oktober 2019 erschien von ihr bei der DVA: "Wendezeit – Die Neuordnung der Welt nach 1989". – © www.kristina-spohr.com/Muir Vidler