COVID-19 und die UN Women, Peace and Security Agenda
COVID-19 und die UN Women, Peace and Security Agenda
Zusammenfassung
In diesem Papier reflektieren wir die Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die UN Women, Peace and Security (WPS) Agenda und diskutieren die Impulse, welche die Agenda für eine geschlechtersensible Krisenbearbeitung liefern kann. Aufgrund der Pandemie kommt es zu einer allgemeinen Verstärkung von Geschlechterungleichheiten, die sich insbesondere in ungleicher Arbeitsteilung und einem Anstieg geschlechtsspezifischer Gewalt ausdrückt. In Krisen- und Konfliktgebieten führt dies zur weiteren Verstärkung geschlechtsspezifischer Vulnerabilität und zum Ausschluss von Frauen sowohl aus der Konfliktbearbeitung als auch aus der COVID-19-Krisenbewältigung. Die Erreichung der WPS-Ziele ist dadurch erschwert. Gleichzeitig könnte die im Rahmen von WPS aufgebaute Expertise und ihr zentraler Ansatz der menschlichen Sicherheit die effektive Bewältigung der Pandemie unterstützen. Hierfür ist die Integration von Frauen in alle Mechanismen und Institutionen entscheidend, die der Bekämpfung des Virus und der Überwindung seiner Folgen dienen. WPS legt insbesondere die Unterstützung lokaler zivilgesellschaftlicher Kräfte, besonders von Frauennetzwerken und –Organisationen, nahe. Schließlich gilt es im Sinne von WPS, friedenspolitische Ansätze, wie Forderungen nach einem Pandemie-bedingten globalen Waffenstillstand, um Gleichstellungsforderungen zu ergänzen.
Keywords:
WPS, COVID-19, menschliche Sicherheit, geschlechtsspezifische Gewalt, Partizipation
Die oiip Corona-Papers sind eine Serie von Kurzanalysen, die sich mit der Pandemie und ihren Auswirkungen auf die internationale Politik auseinandersetzt.
1. Einleitung:
- 20 Jahre Women, Peace and Security im Angesicht der Pandemie
Im Jahr 2020 feiert die UN Sicherheitsratsresolution 1325 ihr 20-jähriges Bestehen. Mit dieser Resolution wurde die UN Women, Peace and Security Agenda (WPS) begründet, die Frauenrechte in den Fokus der globalen Friedens- und Sicherheitsagenda stellt. Die globale COVID-19 Pandemie überschattet nun nicht nur die Versuche WPS zu stärken, sondern erschwert die Durchsetzung der Agenda-Ziele durch die allgemeine Vertiefung von Geschlechterungleichheiten sowie spezifische Herausforderungen in Konfliktregionen und Krisengebieten. Allerdings bieten die im Zuge von WPS entwickelten Mechanismen und Ansätze auch Chancen im effektiven Umgang mit der Pandemie. Insbesondere der Fokus auf das Konzept der menschlichen Sicherheit und die im Rahmen der Agenda erarbeiteten Mechanismen zur geschlechtersensiblen Analyse und Krisenbewältigung können wichtige Anleitungen bieten (Anderlini 2020).
2. Allgemeine Verstärkung von
- Geschlechterungleichheiten durch
COVID-19
COVID-19 und seine globale Ausbreitung sind keineswegs geschlechtsneutrale Phänomene. Mobilitätseinschränkungen, die Schließung von Schulen und Kindergärten sowie Quarantäne- und Lockdown-Bestimmungen haben auf Frauen und Männer unterschiedliche Auswirkungen (Mantovani et al. 2020). Die Pandemie greift in bestehende Ungleichheitsverhältnisse ein und zeigt eine Tendenz zu deren Verschärfung. Dies äußert sich besonders in den folgenden drei Bereichen:
2.1. Arbeitsmarkt
COVID-19 wird zu einer globalen ökonomischen Krise führen, von der das ökonomische Leben von Frauen disproportional und anders als jenes von Männern betroffen ist. Global gesehen verdienen Frauen weniger (der globale gender pay gap beträgt 16%), können weniger ansparen (nur 65% der Frauen haben im Vergleich zu 72% der Männer ein Bankkonto), haben weniger abgesicherte Jobs und sind vermehrt im informellen Sektor (UN 2020: 6). Sie haben einen schlechteren Zugang zu Sozialsystemen, da sie dreimal so viel Zeit mit unbezahlter Care- und Hausarbeit verbringen als Männer, und sie machen den Großteil der AlleinerzieherInnen-Haushalte aus (ebd.). Frauen zwischen 25 bis 34 Jahren haben global gesehen eine 25% höhere Chance als Männer in extremer Armut zu leben (ebd.: 7). Frauen sind auch vermehrt von Kürzungen und Entlassungen betroffen, die vor allem im von Frauen dominierten Service-Sektor vorgenommen werden, wie im Einzelhandel oder im Tourismus. Es besteht daher die Gefahr, dass die Fortschritte, die bei der weiblichen Arbeitsmarktbeteiligung erzielt wurden, wieder rückläufig werden (ebd.: 4). Wie die Ausbreitung des Ebola-Virus 2014-16 gezeigt hat, schränken Quarantäne-Maßnahmen generell die ökonomischen Aktivitäten von Frauen und ihre Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, signifikant ein. Diese werden nach Ende der Krise und Abbau der Maßnahmen auch weniger schnell wiederhergestellt. Ein geschlechtsspezifischer Anstieg von Armut und Lebensmittelunsicherheit ist daher zu erwarten (ebd.). Zur Abfederung dieser ökonomischen Folgen benötigt es einen nicht-diskriminierenden Zugang zu finanzieller Unterstützung, Maßnahmen mit niedrigen Transaktionskosten (z.B. das Aussetzen von Haushaltsrechnungen), die Förderung von Branchen mit hoher Frauenquote sowie Steuererleichterungen für von Frauen geführte Unternehmen (ebd.: 9).
2.2. Unbezahlte und bezahlte Care-Ökonomie
Der durch die Pandemie steigende Bedarf an Sorgearbeit (Kinderbetreuung, Pflege Angehöriger, emotionale Arbeit) verstärkt bereits existierende Ungleichheiten in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung (UN 2020: 13). Schon in Nicht-Krisenzeiten verrichten Frauen global 76,2% der unbezahlten Sorgearbeit (Jones und Raimundo 2020). Aufgrund von social distancing Maßnahmen waren in den letzten Monaten bis zu 850 Millionen Kinder und Jugendliche in 105 Ländern, also etwa die Hälfte aller SchülerInnen weltweit, nicht in der Schule. Die Versorgung und Betreuung fangen überwiegend Frauen auf. Der Druck auf diese meist unsichtbare Care-Ökonomie ist hoch, wird aber in den ökonomischen Antworten auf Corona nicht berücksichtigt (UN 2020: 13). Zusätzlich sind Frauen auch in der bezahlten Sorgearbeit überrepräsentiert und machen weltweit 70% der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen aus, v.a. als Krankenschwestern. Ihr Ansteckungsrisiko ist erhöht (Jones und Raimundo 2020), gleichzeitig sind sie oftmals unterbezahlt. Weltweit gilt es daher, Frauen im Gesundheitsbereich durch Zugang zu Schulungen, korrekte Gesundheitsinformationen, passende Ausrüstung und Schließung des gender pay gaps zu schützen (Jones und Raimundo 2020).
2.3. Geschlechtsspezifische Gewalt
Soziale Distanzierungsmaßnahmen und Isolation stehen in Verbindung mit einem Anstieg häuslicher Gewalt (Jones und Raimundo 2020). In Zeiten von Arbeitslosigkeit und beklemmten Wohnsituationen besteht ein höheres Risiko, dass Männer gewalttätig gegen Frauen werden. Dies ist besonders schwierig für Frauen, die bereits vor der Krise in gewalttätigen Beziehungen lebten (Anderlini 2020). Zusätzlich wird durch die eingeschränkte Mobilität auch der Zugang zu Institutionen, die normalerweise unterstützen, versperrt (Jones und Raimundo 2020). Die zu erwartende ökonomische Krise erschwert außerdem Frauen, die ihre gewaltvollen Beziehungen verlassen wollen, eine unabhängige ökonomische Existenz (ebd.).
3. Besondere Herausforderungen in Krisenregionen und Konfliktgebieten
Mit Blick auf die WPS Agenda ergeben sich aus diesen allgemeinen geschlechtsspezifischen Auswirkungen von COVID-19 besondere Herausforderungen. Generell sind Konfliktgebiete und fragile Staaten, die sich gerade von einem bewaffneten Konflikt erholen oder auf einen solchen zusteuern, in der Pandemie besonders vulnerabel. Meist sind Infrastruktur und Gesundheitssystem bereits vor der Krise geschwächt und es besteht wenig Vertrauen in staatliche Institutionen (Clugston und Spearing 2020). Das Eindämmen des Virus ist in Konfliktgebieten daher schwer möglich; noch schwieriger ist es in den Geflüchtetenlagern, in denen es an basalen Gesundheits- und Hygienestrukturen fehlt (Anderlini 2020). Die Folgen sind wiederum geschlechtsspezifisch und erschweren die Umsetzung der WPS Ziele, insbesondere im Hinblick auf die drei folgenden Problemlagen:
3.1. Verstärkung struktureller Vulnerabilitätsfaktoren
Frauen sind in Konfliktgebieten von mehrfachen Gewaltverhältnissen – zu Hause, in ihren Communities und von bewaffneten Gruppen – betroffen, die durch Krisendynamiken wie der COVID-19 Pandemie weiter verstärkt werden. Gleichzeitig sind vorrangig Frauen in humanitären Krisen als Gesundheitspersonal, als Fürsorgende sowie als Ersthelferinnen tätig, wodurch sie einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind (Clugston und Spearing 2020). Mobilitätsbeschränkungen, die bereits durch den bewaffneten Konflikt oder die Kontrolle durch extremistische Gruppen bestehen und den Zugang von Frauen zur Öffentlichkeit einschränken, werden durch lockdown-Maßnahmen verschärft. Besonders drastisch stellt sich die Situation in Fluchtkontexten dar, die für Frauen und Mädchen auch abseits von COVID-19 von geschlechtsspezifischen Unsicherheiten und Risiken in Herkunfts-, Transit- und Aufnahmeland geprägt sind (Knipp-Rentrop et al. 2019: 8). In Geflüchtetenlagern, wie beispielsweise dem europäischen Lager Moria auf Lesbos oder den europäischen Außenlagern in Libyen, sind die Zustände, unter denen Menschen untergebracht werden, desaströs. Die Gesundheitsversorgung ist nicht gewährleistet, es gibt keine Rückzugsräume und die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen und Mädchen können nicht durchgesetzt werden (Johanssen et al. 2020). Geboten sind daher aus menschenrechtlicher und medizinischer Sicht das Ende der Massenunterbringung von Geflüchteten, die sofortige Auflösung der Lager an den EU-Außengrenzen, die staatliche Aufnahme in dezentrale Unterbringungsmöglichkeiten im Einklang mit dem Epidemiegesetz, die psychosoziale Betreuung von Überlebenden sexueller Gewalt und verstärkte Integration von Gender Mainstreaming und WPS in das nationale und EU Grenzmanagement.
3.2. Exklusion von Frauen aus Friedensprozessen und COVID-19 Maßnahmen
Ein Kernstück der WPS Agenda ist die Integration von Frauen in Friedensprozesse. Ihre Beteiligung am Aufbau von Post-Konflikt-Strukturen und –Institutionen führt nicht nur zur stärkeren Berücksichtigung ihrer Interessen und Sicherheitsbedürfnisse, sondern erhöht generell die Erfolgschancen von Friedensabkommen und den darauffolgenden gesellschaftlichen Konsolidierungsprozessen (O’Reilly 2015: 6). Die Forschung zeigt, dass besonders die Beteiligung von Frauennetzwerken und –NGOs wesentlich zu dieser Erhöhung beiträgt (ebd.). Es ist daher zu befürchten, dass Mobilitätsbeschränkungen und Marginalisierung durch COVID-19 Maßnahmen die hart erkämpfte Partizipation von Frauen an diesen Prozessen zurückdrängt. Besonders unter autoritären Regierungen geraten Zivilgesellschaft, AktivistInnen und oppositionelle Kräfte zusätzlich in Bedrängnis, da COVID-19 Maßnahmen zur weiteren Beschränkung des öffentlichen und politischen Lebens genutzt werden können (Clugston und Spearing 2020). Die Zurückdrängung von Frauen aus politischen Prozessen droht sich nun bei den Krisenreaktionen auf COVID-19 zu wiederholen. Dies kann sich in geschlechterunsensiblen COVID-19 Policies ausdrücken, die Frauen weiter benachteiligen. Ähnliches wurde während des Ebola-Ausbruch 2014-16 im Westen von Afrika beobachtet: Frauen hatten zwar aufgrund ungleicher Geschlechterverhältnisse ein höheres Ansteckungsrisiko, hatten aber gleichzeitig weniger Möglichkeiten, sich in Entscheidungsprozesse rund um den Ausbruch einzubringen. Ihre Bedürfnisse wurden missachtet. In Folge wurden Ressourcen für reproduktive und sexuelle Gesundheit in Notfallmedizin umgeleitet, was zu einer erhöhten Müttersterblichkeit führte (Wenham et al. 2020). Die UN warnte aktuell zudem vor einem eingeschränkten Zugang zu Verhütungsmitteln, was bis zu 7 Millionen ungewollte Schwangerschaften bedeuten könnte (UN 2020: 2).
3.3. Geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt in Konfliktgebieten
Während bewaffneter Konflikte gibt es ein erhöhtes Risiko von sexueller und physischer Gewalt gegen Frauen durch bewaffnete Gruppen. Gewalt in der Partnerschaft ist in Zeiten bewaffneter Konflikte ebenfalls um 35% höher als zu Friedenszeiten. Gesundheitskrisen führen nun zusätzlich zu einem Anstieg geschlechtsspezifischer Gewalt, verübt sowohl durch Partner als auch durch Vertreter staatlicher und regionaler Autoritäten. Während der Ebola-Epidemie kam es beispielsweise zu sexueller Ausbeutung und Missbrauch von Frauen durch Gesundheitspersonal, das Impfungen verabreichte (Clugston/Spearing 2020). Besonders in Konfliktgebieten und autoritären Regimen, in denen rechtsstaatliche Institutionen fragil und Rechenschaftsprinzipien erschwert durchsetzbar sind, birgt die Ausweitung der Kompetenzen von Sicherheitskräften und die unkontrollierte Durchsetzung von COVID-19 Maßnahmen weitere Risiken für Frauen, da sie verstärkt sexueller und physischer Gewalt durch diese Kräfte ausgesetzt sind (ebd.). Global werden Berichte über die gewaltsame Durchsetzung von COVID-19 lockdown Maßnahmen laut, unter anderem über den Einsatz von sexueller Gewalt (Ratcliffe 2020; Mensah 2020; UN News 2020c). Im Kontext von COVID-19 führt das Zusammenwirken dieser Faktoren zu einem starken Anstieg von geschlechtsspezifischer Gewalt (UNDP 2020; Sutrich 2020). Noch gibt es keine umfangreichen Daten im Rahmen von COVID-19, Berichte aus einzelnen Ländern lassen allerdings einen Anstieg von geschlechtsspezifischer Gewalt von bis zu 25% vermerken (UN 2020: 17). Wir können davon ausgehen, dass die Dunkelziffer hoch ist. Allgemein wissen wir, dass in humanitären Krisensettings die Zahl der Frauen, die von einer Form geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind auf bis zu 70% ansteigt (Barclay et al.: 10). Gleichzeitig gibt es weniger Angebote zum Schutz von Überlebenden (Clugston und Spearing 2020). Umzusetzen ist daher eine Priorisierung von Präventions- und Gewaltschutzprogrammen und deren Erweiterung um Kompetenzen im Umgang mit COVID-19 sowie die Sicherung des Zugangs zu diesen im Kontext von Mobilitätsbeschränkungen.
4. Impulse aus WPS-Perspektive für COVID-19 Krisenbearbeitung
Obwohl COVID-19 und die damit zusammenhängenden Maßnahmen die Erreichung der WPS Ziele erschweren, bietet WPS gleichzeitig Chancen für den geschlechtersensiblen Umgang mit der Krise und einer effektiveren Überwindung dieser. Ein Knackpunkt von WPS und einer erfolgreichen Krisenbearbeitung ist hierbei die Erweiterung des Sicherheitsverständnisses. WPS fordert die Abkehr von der Fokussierung auf militärische und staatliche Sicherheit und die Hinwendung zu einem breiteren Sicherheitsbegriff, wie jenem der menschlichen Sicherheit (human security), der soziale, ökologische und ökonomische Bedürfnisse einschließt. Die Corona-Krise zeigt nun, dass menschliche Sicherheit auch in der Bekämpfung von Pandemien in den Vordergrund gestellt werden muss. Statt traditionelle Anliegen „nationaler Sicherheit“ zu zentrieren, gilt es Gesundheits- und Sozialsysteme sowie zivilgesellschaftliches Engagement zur höchsten Sicherheitspriorität zu machen (Anderlini 2020). Es ist daher jetzt geboten, die Expertise und Erfahrungen aus WPS nutzbar zu machen, um die geschlechtsspezifischen Folgen der Pandemie abzufedern. WPS stellt zahlreiche Ansätze und Tools zur Verfügung, mit denen die Exklusion von Frauen aus der Krisenprävention und -Bearbeitung aufgebrochen und ihre Bedürfnisse in Lösungsstrategien integriert werden können (Clugston und Spearing 2020). Die folgenden drei Aspekte bieten Ansatzpunkte für die Integration der Erkenntnisse der WPS Agenda in die COVID-19 Krisenbearbeitung.
4.1. Partizipation von Frauen
Frauen müssen stärker in Mechanismen, die der Kontrolle, Überwachung, und Prävention von globaler Gesundheit und Sicherheit dienen, einbezogen werden. Die Ansätze von WPS im Kampf gegen die Exklusion von Frauen aus Friedens- und Sicherheitsprozessen können in diesem Sinne auch im Kontext von COVID-19 relevant sein. Darauf aufbauend braucht es die Einbindung von Frauen in Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse rund um COVID-19 Maßnahmen, damit ihre Lebensrealitäten und Bedürfnisse besser berücksichtigt werden. Aktuell sind Frauen in nationalen und globalen Institutionen und Gremien nicht adäquat repräsentiert (Wenham et al. 2020). Dies untergräbt die gesundheitspolitischen Ziele rund um die Virus-Ausbreitung (Mantovani et al. 2020). Denn das Einbeziehen der Stimmen und des Wissens von Frauen trägt zur generellen Verbesserung von Vorbereitung und Antwort auf Pandemien bei. Frauen sind beispielsweise in den meisten Communities gut positioniert, um Trends auf lokaler Ebene zu erkennen, die auf einen Ausbruch hinweisen können und haben eine zentrale Rolle bei lokalen Bekämpfungsmaßnahmen. Auch das WHO Executive Board empfiehlt daher die Einbindung von Frauen in alle relevanten Entscheidungsprozesse (Wenham et al. 2020).
4.2. Frauennetzwerke
Grassroots-Frauennetzwerke existieren in vielen Konfliktgebieten und sind wichtige Akteure im Kampf um Geschlechtergerechtigkeit und in Friedensprozessen. Diese Frauennetzwerke und -Organisationen sind nun auch in vorderster Reihe in der Krisenbewältigung tätig. In Jemen, Pakistan und im Irak gibt es beispielsweise gut organisierte, zivilgesellschaftliche, lokale Netzwerke von Frauen, die ursprünglich aufgebaut wurden, um Friedensprozesse in ihren Regionen zu fördern. Seit der Pandemie versorgten sie nun schlechter angebundene Communities mit Material zur Herstellung von Masken und mit Gesundheitsinformationen zu COVID-19 (Anderlini 2020). Durch die COVID-19 Krise werden außerdem internationale humanitäre Akteure aus Konfliktgebieten abgezogen, wodurch es umso wichtiger wird, dass lokale Akteure Unterstützung erfahren und vermehrt gefördert werden (Clugston und Spearing 2020).
4.3. Gendersensible Friedensarbeit
Die WPS-Agenda setzt sich zudem dafür ein, dass der breitere Sicherheitsbegriff der human security auch in globale Bemühungen für die Beendigung von bewaffneten Konflikten einfließt. Diese Anstrengungen gilt es besonders im Kontext der COVID-19 Pandemie zu intensivieren. UN Generalsekretär António Guterres rief als Schritt zur Bekämpfung der Pandemie einen globalen Waffenstillstand aus, der weltweit für Aufmerksamkeit sorgte (UN News 2020a). Doch auch diese Chance auf die Humanisierung internationaler Beziehungen benötigen eine feministische Erweiterung, wie sie von WPS vorgesehen werden (Anderlini 2020). Dies beinhaltet die Partizipation von Frauen in allen damit zusammenhängenden Prozessen, den vollen und nicht-diskriminierenden Zugang zu Sozialsystemen für alle COVID-19 Erkrankte sowie die Unterstützung lokaler zivilgesellschaftlicher Kräfte, die sich für Wiederaufbau und Friedensprozesse einsetzen (WILPF 2020). Zudem muss eine gendersensible Analyse auch die privaten Verhältnisse in den Fokus von Krisen- und Konfliktbearbeitung rücken und die globalen Friedensforderungen um einen „Waffenstillstand zuhause“ und ein Ende der häuslichen Gewalt erweitern (UN News 2020b).
5. Conclusio
Im Falle einer globalen Gesundheitskrise, wie sie die COVID-19 Pandemie darstellt muss auch die Krisenreaktion eine alle gesellschaftliche Gruppen umfassende Antwort bieten. Die WPS-Agenda gibt mit ihrer geschlechtersensiblen Analyseperspektive und der Erweiterung des Sicherheitsbegriffs auf menschliche Sicherheit Impulse, wie diese inklusive Antwort zu konzipieren ist. Im Zentrum steht die Integration von Frauen in alle Mechanismen, die der Kontrolle, Überwachung, und Prävention von globaler Gesundheit und Sicherheit dienen. Der Zuspitzung von Geschlechterungleichheiten wie dem Anstieg geschlechtsspezifischer Gewalt, der eingeschränkten Gesundheitsversorgung besonders im Bereich sexueller und reproduktiver Rechte, der ungleichen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und dem Abladen ökonomischer Krisentendenzen auf Frauen gilt es mit gendersensiblen Policies entgegenzuwirken. Hierzu gehören die Priorisierung von Präventions- und Gewaltschutzprogrammen, ein vollständiger und nicht-diskriminierender Zugang zu Gesundheits- und Sozialsystemen, die Aufwertung von bezahlter und unbezahlter Sorgearbeit sowie die Schließung des gender pay gap. Auf die besonders krisenhafte Situation in Geflüchtetenlagern gilt es menschenrechtskonform zu reagieren, die Massenunterbringung zu stoppen, die Lager aufzulösen und die staatliche Aufnahme in dezentrale Unterbringungsmöglichkeiten zu veranlassen.
Literatur
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https://www.actionaid.org.uk/sites/default/files/publications/actionaid_policy_report_on_the_frontline_catalysing_womens_leadership_in_humanitarian_action.pdf
Clugston, Naomi/Spearing, Michelle (2020): The COVID-19 Response: what has women, peace and security got to do with it? LSE Women, Peace and Security-Blog.
https://blogs.lse.ac.uk/wps/2020/05/07/the-covid-19-response-what-has-women-peace-and-security-got-to-do-with-it/
Gesundheit für Alle (2020): Verstöße gegen das Epidemiegesetz beim Weiterbetrieb der Bundeseinrichtungen und Anhaltungen. Aufforderung zur Schließung der Einrichtungen durch die Bezirkshauptmannschaft /das Bezirksgesundheitsamt, Gesundheit für Alle-Blog.
https://gesundheitfueralle.noblogs.org/
Johanssen, Stephanie/Jaf, Mina/ Wauters, Evelien (2020): We cannot abandon migrant and refugee women during the COVID-19 crisis, MS magazine.
https://msmagazine.com/2020/04/15/we-cannot-abandon-migrant-and-refugee-women-during-the-covid-19-crisis/
Jones, Katelyn/Raimundo, Tria (2020): The gendered consequences of Coronavirus, e-international relations.
https://www.e-ir.info/2020/03/26/opinion-the-gendered-consequences-of-coronavirus/
Mantovani, Alessandro/Dalbeni, Andrea/Beatrice, Giorgia (2020): Coronoavirus disease 2019 (COVID-19): we don’t leave women alone, International journal of public health.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7147358/
Mensah, Kent (2020): Rwandan soldiers rape women to enforce Coronavirus lockdown, facetofaceafrica.
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https://www.inclusivesecurity.org/wp-content/uploads/2020/02/Why-Women-Brief-2020.pdf
Ratcliffe, Rebecca (2020): Teargas, beatings and bleach. The most extreme COVID-19 lockdown controls around the world, The Guardian.
https://www.theguardian.com/global-development/2020/apr/01/extreme-coronavirus-lockdown-controls-raise-fears-for-worlds-poorest
Sutrich, Sophie (2020): COVID-19, conflict and sexual violence. Reversing the burden of proof, Humanitarian Law and Policy Blog.
https://blogs.icrc.org/law-and-policy/about-the-blog/
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UN News (2020b): UN chief calls for domestic violence ‘ceasefire’ amid ‘horrifying global surge’.
https://news.un.org/en/story/2020/04/1061052
UN News (2020c): COVID-19 intensifies ‘brutal crime’ of sexual violence in conflict.
https://news.un.org/en/story/2020/06/1066712
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https://www.thelancet.com/action/showPdf?pii=S0140-6736%2820%2930526-2
WILPF (2020): Feminist consortium releases five principles for a meaningful ceasefire.
https://www.peacewomen.org/node/103848
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