Mitschnitt der Sendung: Der türkische Drahtseilakt im Ukraine-Krieg
Mitschnitt der Sendung: Der türkische Drahtseilakt im Ukraine-Krieg
Ö1, Punkt eins
28.4.2022
Friedensvermittler und Kriegsführer: Über die geostrategische Bedeutung der Türkei in aktuellen Konflikten.
Gast: Dr. Cengiz Günay, Direktor des Österreichischen Instituts für internationale Politik (oiip), Lektor am Institut für Politikwissenschaft, dem Institut für internationale Entwicklung sowie dem Institut für Orientalistik an der Universität Wien.
Moderation: Barbara Zeithammer.
Während Russland eine neue Offensive beginnt und mit seinem Gasstopp für Polen und Bulgarien an der Eskalationsspirale dreht – dazu die unklare Situation in der Separatistenregion Transnistrien in Moldau – ist UN-Generalsekretär Antonio Guterres als Vermittler unterwegs. Am Donnerstag wird er in Kiew erwartet, davor war er in Moskau, doch in Ankara hat er am Montag seine Friedensmission begonnen.
Die Türkei hat eine Sonderrolle im Krieg Russlands gegen die Ukraine inne und sich bereits vor Kriegsbeginn als Vermittlerin engagiert. Das NATO-Mitglied Türkei unterhält mit beiden Ländern gute Beziehungen, ist von russischem Gas, Öl und Weizenmehl abhängig und ist der größte ausländische Investor in der Ukraine. Im März war es der Türkei gelungen, die Außenminister von Russland und der Ukraine sowie Delegationen von Verhandlern beider Seiten zusammen zu bringen; allerdings ohne Ergebnis. An den Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland beteiligt sich die Türkei nicht, doch hat sie die Meerengen Bosporus und Dardanellen für russische Kriegsschiffe Anfang März gemäß dem internationalen Vertrag von Montreux geschlossen – was sich direkt auf den Krieg auswirkt. Vor wenigen Tagen hat die Türkei den Luftraum für russische Militär- und Zivilflüge nach Syrien gesperrt. Schon vor der russischen Invasion lieferte die Türkei Waffen, u.a. Kampfdrohnen, an die Ukraine.
„Aktive Neutralität“ nennt Präsident Recep Tayyip Erdogan – seit 2002 ist seine AKP an der Macht – seine Strategie und sie verhilft ihm international wieder zum Dialog, hatte er das Land doch zuletzt außenpolitisch weitgehend isoliert. Für die offenkundigen Verstöße gegen internationale Menschenrechtsnormen war Erdogan vor einem Monat von Human Rights Watch zuletzt massiv kritisiert worden. Innenpolitisch ist der Autokrat auf Grund der Wirtschafskrise unter Druck; die Inflation ist zuletzt auf über 60 Prozent gestiegen. Im Schatten des Kriegs in der Ukraine kämpft die Türkei allerdings selbst einen Krieg: am 18. April hat die Armee eine neue Offensive gegen kurdische Kämpfer im Norden des Irak gestartet.
Über die Rolle der Türkei im Ukraine-Krieg und die Chancen ihrer Verhandlungspolitik, über ihre Beziehungen und Interessen, die geostrategische Bedeutung der Türkei in aktuellen Konflikten und die Gefahren einer Eskalation in einem vom Westen vergessenen Krieg, spricht Dr. Cengiz Günay, Direktor des Österreichischen Instituts für internationale Politik (oiip), als Gast bei Barbara Zeithammer.
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