Krieg der Zukunft: Den Algorithmen die Waffen entziehen
Krieg der Zukunft: Den Algorithmen die Waffen entziehen
Der Standard
26. Juni 2020
PODCAST EDITION ZUKUNFT:
Krieg der Zukunft: Den Algorithmen die Waffen entziehen
Interview von Fabian Sommavilla
Eine EU-Armee kommt bis 2050. Das glauben Generalmajor Johann Frank vom Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement und Saskia Stachowitsch vom Österreichischen Institut für Internationale Politik
Seit Menschengedenken führen wir Krieg gegeneinander. Obwohl die Gründe oft dieselben blieben, haben sich die Mittel gewandelt. Während Österreichs Landesverteidigung minimiert und auf Cyberdefence sowie Katastrophenschutz reduziert werden soll, schreitet die Modernisierung vieler Streitkräfte mit Milliardeninvestitionen voran. Aber wie sieht er aus, der Krieg von morgen? Generalmajor Johann Frank vom Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) sowie Saskia Stachowitsch vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) wagen den Blick durch das Visier.
STANDARD: Der Krieg der Zukunft wird im Cyberspace und im Weltraum geführt werden. Nicht Soldaten, sondern Algorithmen werden die Entscheidung über Angriff oder nicht treffen. Und trotzdem sieht man weltweit immer noch viele Konflikte, die mit konventioneller Gewalt, mit Schusswaffen und Panzern geführt werden. Wird das klassische Blutvergießen am Boden nie aufhören?
Frank: Der Krieg der Zukunft wird zwei Elemente haben. Konstant werden die Kriegsursachen bleiben, sie sind seit langer Zeit dieselben: Machtinteressen, Ressourcen, Anerkennung. Was sich ändern wird, ist die Art und Weise, wie Konflikte ausgetragen werden. Der Krieg ist ein Chamäleon und wird sich an die jeweiligen gesellschaftlichen, technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen anpassen. Wir sehen derzeit drei Ebenen: Auf der global-strategischen ist ein sich verschärfender Systemkonflikt zwischen den USA und China zu beobachten. Wir sprechen dabei von einer konfrontativen Multipolarität. Das ist insofern gefährlich, weil bei ähnlichen historischen Konstellationen, als eine neue Macht aufstieg und eine alte etablierte herausforderte, es in zwölf von 16 Fällen zu einem bewaffneten Konflikt gekommen ist. Die zweite Ebene ist jene der neuen Kriege, der Bürgerkriege, etwa der Krisengürtel von Westafrika bis in den Nahen Osten hinein. Die für Österreich und Europa entscheidende Ebene ist die dritte – die hybriden Kriege. Hybride Konflikte inkludieren aber stets die Möglichkeit, auf konventionelle militärische Mittel zurückzugreifen, wie wir es zuletzt in der Ukraine gesehen haben.
STANDARD: Was kommt in Sachen Cyberkrieg und hybride Kriegsführung auf uns zu?
Frank: In unserem Verständnis ist ein hybrider Krieg ein gezielter Angriff auf die liberal-westlichen Gesellschaften unter ganz gezielter Nutzung und Kombination unterschiedlicher Maßnahmen und Mittel. Die müssen in der ersten Phase nicht primär militärisch sein, sondern kommen aus dem Informations-, Wirtschafts- oder Technologiebereich – alles stets bewusst unterhalb der Schwelle eines Krieges, mit dem Hauptziel, das Denken der Menschen zu beeinflussen. Im Idealfall muss man zum offensiven Kampfmitteleinsatz gar nicht mehr fortschreiten.
STANDARD: Wurde die EU in diesem Rennen längst von den großen Playern abgehängt?
Stachowitsch: Gott sei Dank befinden wir uns nicht mehr in der Zeit des Kalten Krieges, wo Verteidigungspolitik ein Wettbewerb war. Daher ist die Metapher vom "Abhängen" wahrscheinlich nicht so glücklich, nur weil einer mehr investiert als der andere. Natürlich soll die EU eine Rolle in bewaffneten Konflikten spielen – das tut sie auch. Die politische Frage ist aber: Welche Rolle soll die EU in welchen Konflikten spielen? Und welche Art von Mitteln ist notwendig? Die EU hat relativ große Probleme, eine gemeinsame außen- und sicherheitspolitische Linie zu finden.
Stachowitsch spricht in der Folge davon, dass man erst die innere Zerrissenheit überwinden müsse, bevor man die konkrete Zusammenarbeit oder die Ausrüstung eines etwaigen gemeinsamen Heeres planen könne. Helfen könne, dass Staaten bereits heute im Kleinen strukturiert zusammenarbeiten. Laut Generalmajor Frank wird die EU im Rahmen der globalen Player manchmal als "der einzige Vegetarier unter den Fleischfressern" gesehen. Um Ordnung und Stabilität in den Nachbarregionen zu wahren und die Europäer besser zu schützen, seien definitiv große Anstrengungen nötig.
STANDARD: Welchen besonderen Beitrag könnte Österreich zu einer EU-Armee leisten?
Frank: Gewisse Stärken liegen auf der Hand, etwa die friedenserhaltenden Missionen im Ausland, in der ABC-Abwehr atomarer, biologischer und chemischer Waffen haben wir eine sehr leistungsfähige Truppe – oder auch in der Gebirgskampfausbildung. Aus sicherheitspolitischer, strategischer und wirtschaftlicher Sicht würde solch ein Projekt Sinn machen. Es wäre effizienter, Ressourcen zusammenzulegen. Politisch halte ich es kurz- und mittelfristig für unwahrscheinlich. In einer Perspektive bis 2050 bin ich aber lieber ein Optimist und glaube, dass wir bis dahin einen großen Schritt Richtung EU-Armee gemacht haben werden.
Stachowitsch: Es kommt darauf an, was "gemeinsam" bedeutet. Wird es eine Institution geben, die die Militärapparate in den Nationalstaaten ersetzt, oder geht es in Richtung Frontex? Auch da hieß es immer, eine Europäisierung des Grenzschutzes werde nicht funktionieren, weil diese Thematik viel zu stark an den nationalen Interessen kratze. Egal wie man zu Frontex steht, muss man sagen, dass das enorme Wachstum und der stärkere politische Einfluss von Frontex zeigen, dass dies ein EU-Erfolgsmodell darstellt. Wenn man sich nun Ähnliches im militärischen oder Verteidigungsbereich vorstellt, dann ist es schon durchaus realistisch.
Beim Thema Privatisierung der Sicherheitsindustrie habe sich in den vergangenen Jahren klar gezeigt, "welche Probleme daraus erwachsen können", wenn nicht nur rein logistische Aufgaben an Subunternehmen abgegeben werden, stellt Stachowitsch fest. Daraus habe man die richtigen Lektionen gelernt. Der Einfluss sei aber definitiv im Wachsen, und wenn Sicherheit nur als Ware und nicht als gesellschaftliches Gut verstanden werde, sei Vorsicht geboten.
STANDARD: Der US-Rüstungsriese Lockheed Martin veranstaltet eine weltweite Drohnenrennserie. Züchten sich die gerade die Soldaten der Zukunft heran?
Stachowitsch: Diese Kultur der Militarisierung der Unterhaltung, der Freizeit oder des Sports kennen wir hierzulande zu wenig. Mit einer starken zivilpolitischen und antimilitaristischen Position wirkt das für uns abschreckend – wie ich glaube, aus gutem Grund. In vielen Bereichen haben Jugendliche heute aber durch ihre Freizeitgestaltung Vorteile am Arbeitsmarkt gegenüber Älteren. Schnelle Entscheidungen in komplexen Situationen kann ich aber genauso gut im Mannschaftssport erlernen.
STANDARD: Wie garantieren wir, dass Menschen die letzte Entscheidung über eine Tötung fällen und keine Algorithmen?
Frank: Vollautonome Waffensysteme, die von der Zielauswahl über das Abfeuern bis zur Analyse des Ergebnisses alles ohne menschliches Zutun ausführen, halte ich persönlich für eine der kritischsten Entwicklungen. Wir sind noch nicht dort, und es wird sehr häufig mit Drohnen verwechselt. Deren Technologie ist aber teils zehn bis zwölf Jahre alt. Hinter der Entscheidung über Leben und Tod muss aber immer ein Mensch stehen, der diese mit seinem Gewissen zu vereinbaren hat. Es wäre ein massiver Verstoß gegen die Menschenwürde, wenn wir das Töten einem Algorithmus überlassen würden.
Frank spricht davon, dass künftige Waffensysteme die Hemmschwelle zum Töten noch weiter senken könnten. Man kann dem aber unter anderem entgegenwirken, indem man sogenannte "Joystick-Soldaten" nicht tausende Kilometer entfernt in Bunkern einsperrt, sondern tatsächlich am Kriegsschauplatz einsetzt, so Frank. Das wirke der Abstumpfung entgegen. Die psychologischen Folgen und posttraumatischen Verhaltensstörungen seien aber keinesfalls zu unterschätzen. Vollautonome Waffen sollten nach Möglichkeit verboten werden, fordert der Generalmajor.
Stachowitsch: Die Distanziertheit in der Kriegsführung beschäftigt uns nicht erst, seit die Technologie so große Sprünge macht. Wir haben eine Tendenz, den Krieg der Vergangenheit zu stilisieren als etwas, wo man sich "Mann gegen Mann" am Schlachtfeld gegenübergestanden ist. Der Prozess, der eine Distanzierung eingeleitet hat, ist schon sehr alt – Stichwort Kampfjets und Ähnliches. Wir haben im Umgang mit dieser Frage eigentlich schon viel Erfahrung. Ähnlich verhält es sich mit den alten nationalstaatlichen Territorialkriegen. Die Militärgeschichtsschreibung hat sich sehr darauf konzentriert, deshalb haben wir oft den Überblick verloren, wie viele hybride, "messy conflicts" es in der Geschichte immer schon gegeben hat.
Stachowitsch kritisiert auch die fehlende Einbindung von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen in das Konfliktmanagement und in Post-Konflikt-Szenarien. Sie glaubt nicht, dass ein diverseres Militär per se ein Heilmittel wäre, "um Militärapparate menschenrechtsverträglicher, demokratischer oder inklusiver zu gestalten". Natürlich könne dadurch aber ein anderer Blick auf Sicherheitspolitik geworfen werden. Es brauche aber zwingend auch den Willen der Organisationen. Zumindest dieser Wille ist bei Generalmajor Frank erkenntlich, der die relativ niedrige Frauenquote von vier Prozent im österreichischen Bundesheer sehr gerne steigern würde: "Das ist zu wenig." Gemischte Einsatzteams würden besser funktionieren. Es gehe schrittweise, aber zu langsam in die richtige Richtung, so Frank.
STANDARD: Wie sieht das perfekte Militär im Jahr 2050 aus, und wie werden die Militärs der Welt tatsächlich aussehen?
Frank: Es wird ein Mix aus traditionellen Militärstrukturen und neuen Technologieentwicklungen sein, die wir heute noch gar nicht abschätzen können. Es ist aber natürlich ein Unterschied, ob es nur um die Entwicklung von Prototypen geht oder ob man moderne Technologien strukturell in die Organisation integriert hat. Bis ein entwickeltes und getestetes System eingeführt ist, dauert es mindestens zehn bis 15 Jahre. Das Wichtigste, das ich bei Gesprächen über die Zukunft gelernt habe: Es ist von der Ambition her schon ganz gut, nicht ganz falsch zu liegen. Ich würde mir wünschen, dass wir Streitkräfte in einer solchen Glaubwürdigkeit und Leistungsfähigkeit haben, dass es nicht zur Führung von großen Kriegen kommt.
Stachowitsch: Ich denke, das Militär wird auf jeden Fall einen Prozess der Europäisierung durchmachen. Es wird hoffentlich eines sein, das der Demokratie und den Menschenrechten verpflichtet ist und im engen Austausch mit der Gesellschaft steht. Es sollte sich als Instrument verstehen, das die außen- und friedenspolitischen Ziele durchsetzen kann. Es sollte auch ein Militär sein, das von industriepolitischen Überlegungen nicht zu sehr abhängig ist.