Zwei europäische Nr. 1

Zwei europäische Nr. 1

Die Furche
7. Dezember 2022
Artikel von Wolfgang Petritsch

Nach dem Brexit sind Frankreich und Deutschland in der EU noch wichtiger geworden.
Dieser neue Dualismus birgt aber auch Gefahren für die deutsch-französische Freundschaft.

Im Straßburger Restaurant „La Marseillaise“ wird elsässische Küche serviert, der kulinarische Ausdruck deutsch-französischer Freundschaft, die geglückte Synthese alemannischer Deftigkeit und französischer Raffinesse, oder wie der Kulturtausendsassa Tomi Ungerer über die Küche seiner Straßburger Heimat sagte: ein Mix aus „französischer Qualität und deutschen Portionen“. Anfang nächsten Jahres feiern Frankreich und Deutschland den 60. Jahrestag ihrer Staatenfreundschaft. Am 22. Jänner 1963 unterzeichneten der französische Präsident Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer in Paris den Élysée-Vertrag zur deutsch-französischen Zusammenarbeit. Ausgerechnet im Vorfeld dieses Jubiläums knirscht es in letzter Zeit immer öfter und lauter im Beziehungsgebälk. Ende Oktober wurde sogar der deutsch-französische Ministerrat vertagt. Grund für die Verschiebung war weiterer Abstimmungsbedarf in bilateralen Fragen. Neben der Energie- und Finanzpolitik hakt es vor allem beim Thema Rüstung. „Freundschaft ist schön in guten Zeiten, aber Staaten haben Interessen, die stehen letztlich immer über Freundschaft“, antwortet Wolfgang Petritsch, Präsident des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (oiip), auf die Frage nach dem deutsch-französischen Mit- und Gegeneinander. Im Laufe seiner Karriere als Spitzendiplomat war Petritsch auch Leiter der Ständigen Vertretung Österreichs bei der OECD in Paris und hat dieses Zusammenspiel dort aus eigener Anschauung erlebt. Die deutsch-französische Aussöhnung nennt Petritsch „die historische Leistung des 20. Jahrhunderts in Europa“. So wie für EU-Kommissionsvertreter Martin Selmayr (siehe Interview) sind auch für Petritsch Deutschland und Frankreich die beiden entscheidenden Staaten in der EU. Mit dem Brexit habe ihre Bedeutung noch zugenommen, sagt er und sieht in der neuen Konstellation auch eine Gefahr: „Früher war das eine Art Dreiecksverhältnis. Jetzt läuft der Dualismus immer Gefahr, in eine Überspitzung und direkte Konfrontation zu geraten. Das ist ein Nachteil für die EU, aber auch für die bilateralen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland.“ Um diese wieder zu verbessern, absolvierten deutsche und französische Ministerinnen und Minister in den letzten Wochen einen Besuchsmarathon in den jeweils anderen Hauptstädten. „Ihr seid euch beim Klamottenkauf auch nicht immer einig mit eurer besten Freundin“, verglich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bei einem Schulbesuch in Paris die politischen Meinungsunterschiede mit einem Beispiel aus dem Schülerinnenalltag. Die Verschiebung des Ministerrats der beiden Länder resultiere laut ihrer Rede vor der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung vorige Woche nicht aus schlechten Beziehungen, „sondern weil sie so intensiv sind, dass wir über identitäre Fragen, über die wir bisher noch nie gesprochen haben, so intensiv sprechen“. Bei Themen wie Rüstungskooperation oder Energieunion „geht das natürlich ans Eingemachte, und dafür braucht man gut vorbereitete Treffen“.

Verknüpft wie Benelux

Für Petritsch zeigen diese gemeinsamen Ministerräte und parlamentarischen Treffen, dass Deutschland und Frankreich in Europa, abgesehen von den Beneluxstaaten, am meisten verknüpft sind: „Da läuft vieles richtig, aber der Unterschied zwischen einer sehr selbstbewussten Grande Nation und einem zurückhaltenden und mehr auf kleinere EU-Staaten Rücksicht nehmenden Deutschland ist immer spürbar.“ Deutschland sei objektiv die Nummer eins in Europa, wolle diese Rolle aber nicht einnehmen, sagt Petritsch. Der Brexit wiederum habe Frankreich als einzige Atommacht in der EU und einziges EU-Land mit ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat aufgewertet: „So wie sich die Amerikaner global als exzeptionelle Macht verstehen, fühlen sich die Franzosen in dieser Rolle in der EU.“ Letztlich müsse aber zwischen beiden Ländern ein Kompromiss rauskommen, ist Petritsch überzeugt, „der kein deutsches oder französisches Europa sein kann, sondern ein europäisches Europa ist“.

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