Antiterrorpolitik muss durchdacht sein, nicht impulsiv
Antiterrorpolitik muss durchdacht sein, nicht impulsiv
Kommentar der anderen von Daniela Pisoiu in Der Standard
11. August 2024
Mehr Überwachung, neue Gesetze: Das gehört auch jetzt nach den aufgedeckten Anschlagsplänen um Taylor-Swift-Konzerte in Wien zum Repertoire der Politik. Dass Prävention ein wesentlicher Faktor der Terrorbekämpfung ist, wird wieder einmal übersehen.
Das vorhandene Wissen wird in Österreich nicht in Handeln umgesetzt, kritisiert die Politikwissenschafterin Daniela Pisoiu im Gastkommentar.
Nach (vereitelten) Terroranschlägen werden reaktive, repressive und kurzfristige Maßnahmen angekündigt: mehr Überwachung, härtere Strafen, neue Gesetze. Angesichts Europas jahrzehntelanger Erfahrung mit modernem Terrorismus unterschiedlicher ideologischer Prägung, mehr als 50 Jahren Terrorismusforschung und 20 Jahren europäischer Antiterrorpolitik wären jedoch komplexere und, ja, effizientere Ansätze zu erwarten.
Radikalisierung verhindern
Bereits 2005 erkannte der Rat der Europäischen Union, dass Prävention ein wesentlicher Bestandteil der Antiterrorpolitik sein muss. Neben Schutz, Verfolgung und Reaktion wurde "Prävention" als erste Säule der EU-Strategie zur Terrorismusbekämpfung definiert: Es geht darum, zu verhindern, dass Menschen sich dem Terrorismus zuwenden, indem man an den Radikalisierungsfaktoren und -ursachen ansetzt.
Über die Jahre hat sich der Kampf gegen (Online-)Radikalisierung zu einer zentralen Komponente der Antiterrorpolitik der EU entwickelt, wie beispielsweise die Entstehung des Radicalisation Awareness Network (ab heuer EU Knowledge Hub on Prevention of Radicalisation) zeigt. Sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene gibt es bereits umfassende Strategien zur Terrorismus- und Extremismusprävention. Die Erwartung wäre also, bereits vor dem Radikalisierungsprozess oder währenddessen zu intervenieren, damit es gar nicht erst zur Vorbereitung von Terroranschlägen kommt.
Wie Radikalisierung abläuft
Zahlreiche Forschungsarbeiten, auch meine eigenen, liefern Erkenntnisse über Radikalisierungsprozesse. Die nötigen Zutaten sind: der Wunsch nach Status, Anerkennung, Zugehörigkeit, das Gefühl, etwas bewirken zu können, ein Narrativ der Selbstverteidigung gegen eine wahrgenommene systematische Unterdrückung einer Gruppe, ein interner oder externer Konflikt, der diese Wahrnehmung zu untermauern scheint, Rekrutierer, die weltpolitische Ereignisse und individuelle Interessen und Bedürfnisse instrumentalisieren, eine graduelle Abschottung von der gewöhnlichen sozialen Umgebung und eine Fokussierung auf bestimmte Themen, Menschen und Medien, die das Empfinden einer existenziellen Bedrohung hervorrufen.
Spätestens seit dem 11. September 2001 hören wir vereinfachte Darstellungen der terroristischen Motivation: Sie hassen die Freiheit, die Demokratie, Frauen, unseren Lebensstil. Zugegebenermaßen verbreiten sowohl rechtsextremistische als auch islamistische Ideologien, insbesondere der Salafismus (die ideologische Basis des jihadistischen Terrorismus), ein patriarchales Familienbild und erkennen die Legitimität der Demokratie nicht an. Doch tiefere ideologische Inhalte spielen im Radikalisierungsprozess erst später eine Rolle.
Weltpolitische Bühne
Die Anziehungskraft extremistischer Ideologien und der argumentative Kern von Terroranschlägen sind auf der weltpolitischen Bühne zu verorten. Die "Kriegserklärung" Osama bin Ladens beklagte die vermeintliche US-amerikanische Besatzung Saudi-Arabiens, der Anführer der ersten einheimischen jihadistischen Zelle in Europa die US-amerikanische Besatzung im Irak. Mit dem Wachstum der salafistischen Szene und dem Aufstieg des Rechtsextremismus in Europa zählen auch Koranverbrennungen und Diskriminierungen in der Propaganda zur vermeintlichen systematischen Unterdrückung von Musliminnen und Muslimen weltweit.
Mit anderen Worten: Sie hassen das, was Demokratien aus ihrer Sicht welt- und innenpolitisch bewirken – zusammengefasst im Narrativ unter Besatzung und Unterdrückung. Diese Elemente motivieren europäische Jihadisten, neben den bereits erwähnten psychologischen Mechanismen, politisch. Soziale Medien verstärken nicht nur das bekannte "rabbit hole"-Phänomen, das die Fokussierung und Realitätsverzerrung fördert, sondern bieten auch ein kontinuierliches, direktes Erlebnis grausamer Kriegsbilder, die auf emotionaler Ebene empören und motivieren.
Commitment und Finanzierung
Die durch den Radikalisierungsprozess verursachten ästhetischen, sozialen, aber auch beruflichen oder schulischen Veränderungen sind im sozialen Umfeld sichtbar. Eine gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Präventionsinfrastruktur, wie sie auch die österreichische Strategie theoretisch vorsieht, sollte in der Lage sein, solche Veränderungen wahrzunehmen und darauf zu reagieren.
Weltpolitische Bühne
Die Anziehungskraft extremistischer Ideologien und der argumentative Kern von Terroranschlägen sind auf der weltpolitischen Bühne zu verorten. Die "Kriegserklärung" Osama bin Ladens beklagte die vermeintliche US-amerikanische Besatzung Saudi-Arabiens, der Anführer der ersten einheimischen jihadistischen Zelle in Europa die US-amerikanische Besatzung im Irak. Mit dem Wachstum der salafistischen Szene und dem Aufstieg des Rechtsextremismus in Europa zählen auch Koranverbrennungen und Diskriminierungen in der Propaganda zur vermeintlichen systematischen Unterdrückung von Musliminnen und Muslimen weltweit.
Mit anderen Worten: Sie hassen das, was Demokratien aus ihrer Sicht welt- und innenpolitisch bewirken – zusammengefasst im Narrativ unter Besatzung und Unterdrückung. Diese Elemente motivieren europäische Jihadisten, neben den bereits erwähnten psychologischen Mechanismen, politisch. Soziale Medien verstärken nicht nur das bekannte "rabbit hole"-Phänomen, das die Fokussierung und Realitätsverzerrung fördert, sondern bieten auch ein kontinuierliches, direktes Erlebnis grausamer Kriegsbilder, die auf emotionaler Ebene empören und motivieren.
Commitment und Finanzierung
Die durch den Radikalisierungsprozess verursachten ästhetischen, sozialen, aber auch beruflichen oder schulischen Veränderungen sind im sozialen Umfeld sichtbar. Eine gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Präventionsinfrastruktur, wie sie auch die österreichische Strategie theoretisch vorsieht, sollte in der Lage sein, solche Veränderungen wahrzunehmen und darauf zu reagieren.
Das Bundesprogramm "Demokratie leben!" in Deutschland, das Projekte zu den Themen Demokratie, Vielfalt und Extremismusprävention fördert, verfügte 2023 über 182 Millionen Euro. Es wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend abgewickelt. Das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert seit Jahren großangelegte Projekte zu Terrorismus, Islamismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus sowie Wissensnetzwerke und Nachwuchsgruppen. Mit Ausnahme kleiner Kiras-Studien ist die Extremismusforschung in Österreich weiterhin auf EU-Forschungsgelder angewiesen. Das reicht nicht.