Israel im Schatten von Corona
Israel im Schatten von Corona
Israel im Schatten von Corona
Die Presse
John Bunzl
9. April 2020
Einschätzung: Welche Folgen Corona für das auch innenpolitisch stark gebeutelte Israel und das Verhältnis zu Palästina haben könnte.
Nach halbherzigem Bemühen, entweder eine Regierung zu bilden, die sich auf eine ganz knappe Mehrheit der 120 Abgeordneten in der Knesset stützt, oder eine Minderheitsregierung zu versuchen, hat Benny Gantz, der Führer der zweitgrößten Fraktion im Parlament („Blau-Weiß“), aufgegeben und ist in die Regierung Netanjahu eingetreten. Er hat dadurch sein Bündnis gespalten, denn dieses beruhte nicht auf einer ideologischen Alternative zum regierenden Likud-Block, sondern lediglich auf der Forderung, den wegen Korruptionsfällen angeklagten Langzeitpremier Netanyahu zu entmachten. Zusammengefasst war der Slogan von Blau-Weiß: „Rak lo Bibi“ („Nur nicht Bibi“ = Netanyahu).
Nach den Wahlen am 2. März hätte Gantz über eine knappe Mehrheit im Parlament verfügt. Aber die beginnende Coronakrise, wie auch Trumps „Friedensplan“, förderte den Ruf nach einer Regierung der nationalen Einheit.
Doch schon vorher wurden die israelischen Parteisen durch einen neuen Faktor herausgefordert: das gute Abschneiden der „Gemeinsamen Liste“, eines Bündnisses von vier mehrheitlich arabischen Parteien mit 15 Parlamentsabgeordneten, was einen Rekord in der Geschichte der Knesset darstellt.
Durch die knappen Mehrheitsverhältnisse wurde diese Gemeinsame Liste (Reshimah meshutefet) zu einem Faktor der Koalitionsbildung. Während alle zionistischen Parteien eine Regierungsbeteiligung „der Araber“ ausschlossen, wurde doch die potenzielle Unterstützung „von außen“ erwogen. Dem kam eine neue Flexibilität der Liste selbst entgegen, die sich bereit erklärte, Gantz gegen Bibi zu unterstützen.
Die Aussicht einer Einbindung der Araber (immerhin 20 Prozent der israelischen Bürger) in Koalitionsgespräche gehörte bald zur Munition des Likud gegen den Rivalen, mit dem Vorwurf, Blau-Weiß würde sich von „den Arabern“ abhängig machen und damit den zionistischen Konsens verlassen. Daher der Slogan: „Bibi oder Tibi“ – eine Anspielung auf Achmad Tibi, eine der Führungsfiguren der Liste.
Andererseits setzte die Liste selbst präzedenzlose Schritte, gerichtet an die jüdische Bevölkerung: Plakate in Jiddisch, Amharisch und Russisch sollten Ultraorthodoxe und Einwanderer aus Äthiopien und der ehemaligen Sowjetunion ansprechen. Dem entsprach die zentrale Forderung der Liste: jüdisch-arabische Zusammenarbeit, gegen Rassismus und für Gleichheit aller Bürger, Ablehnung der Okkupation.
Besonders gefährdete Gebiete
Immerhin empfinden sich die Araber in Israel als Teil des palästinensischen Volkes, das in der Westbank und Gaza unter einer Besatzung leidet und von der israelischen Demokratie ausgeschlossen ist. Die Gefahr einer Ausbreitung der Corona-Epidemie ist in diesen Gebieten größer als in Israel „proper“, besonders im Gazastreifen. Es könnte aber letztlich im israelischen Interesse liegen, auch dort der Epidemie entgegenzutreten, allein schon wegen der möglichen Ansteckung der eigenen Bevölkerung. Das könnte wiederum zu einer Lockerung der Abriegelung des Gazastreifens führen, um den Import von Corona-relevanten Gütern zu erleichtern.
Dies wird jedoch nicht ein Schwerpunkt der neuen Regierung sein. Da es in der Kernfrage der Beziehung zu den Palästinensern kaum Unterschiede gibt, ist mit einer Fortsetzung von Besatzung und Annexion zu rechnen, lediglich mit dem Unterschied, dass Netanyahu trotz seines Status als Angeklagter in drei wichtigen Korruptionsfällen unbeirrt weiterregieren kann.
Der Autor: em. Prof. John Bunzl (* 1945 in London) ist Politikwissenschaftler und Senior Fellow am Österreichischen Institut für internationale Politik (OIIP).